Ergänzung vom 11.2.2023: SRF hat seinen Beitrag aufgrund unseres Blogs geändert. Deshalb wird auch unser Beitrag angepasst. Die nun nicht mehr gültigen Aussagen werden in roter Farbe hervorgehoben und neue Ergänzungen in kursiv geschrieben.
Vor ziemlich genau einem Jahr haben wir einen Blog zum Thema «Minusstunden» publiziert (Link). Profis im HR wissen um die Thematik. Deshalb ist es nicht verwunderlich, wenn nun auch das SRF das Thema in der Sendung Espresso vom 2. Februar 2023 aufnimmt. Das Problem ist allerdings, dass nach der hier vertretenen Ansicht rechtlich nicht exakt argumentiert wird.
Fakt ist, das viele Vorgesetzte im Umgang mit Minusstunden sich gewisser Problematiken gar nicht bewusst sind. Sie meinen, Mitarbeitende müssen diese immer nacharbeiten oder sie könnten Minusstunden am Schluss des Anstellungsverhältnisses mit anderen Guthaben verrechnen oder gar vom Lohn abziehen. Allerdings ist die Sache auch nicht so einfach, wie im online publizierten Text von SRF dargestellt. Schon die Aussage im sogen. Lead «Plant ein Betrieb Angestellte ins Minus, müssen sie die Minusstunden nicht nacharbeiten.» ist rechtlich nicht in allen Teilen korrekt.
Aussagen zur Vorkompensation sind bezogen auf das Gastgewerbe falsch Vorkompensation ist im Gastgewerbe möglich
Nicht nachvollziehbar ist die Aussage im Kasten zum Thema «Vorkompensation», wonach nur Saisonangestellte von Kleinbetrieben in einzelnen Wochen weniger als das vereinbarate Pensum arbeiten und die so entstehenden Minusstunden später nacharbeiten dürften. Gemäss Ziff. 1 Art. 15 L-GAV ist die Rede von einer durschchnittlichen wöchentlichen Arbeitszeit. Der Begriff «durschnittlich» impliziert, dass es einmal weniger und dann wieder mehr sein kann. Kein Arbeitgeber ist verpflichtet, seine Mitarbeitende immer mindestens soviele Stunden pro Woche zu beschäftigen, wie die vertragliche Regelarbeitszeit ist. Es liegt gar in der Natur der Branche, dass in einer Woche weniger und dann die Woche darauf wieder mehr Stunden gearbeitet werden. Deshalb darf in der Gastronomie selbstverständlich vorkompensiert werden. Allerdings: Hat der Mitarbeiter Ende Anstellungsverhältnis Minussstunden, ist das sogen. Arbeitgeberrrisiko. Art. 324 OR erlaubt in solchen Fällen nur einen Lohnabzug, wenn der betroffene Mitarbeiter die Minusstunden klar selbstverschuldet hat.
Arbeitgeberverzug heisst, Arbeitgeber hält Verpflichtung nicht ein
Zwar stimmt die Stossrichtung im erwähnten Beitrag von SRF, aber er ist im Lichte der Rechtslage zu wenig differenziert. Die im Beitrag von SRF genannten drei Situationen sind klar Fälle von Arbeitgeberverzug. Zu ergänzen ist: Zwischen Arbeitgebenden und Mitarbeitenden gilt zuerst einmal immer, was vereinbart ist. Erst wenn die Vereinbarung klar gegen zwingende Bestimmungen verstösst, ist sie nicht einzuhalten. Das Wesen des sogen. «Arbeitgeberverzuges» ist, dass die Arbeitgeberin den Mitarbeitenden dann beschäftigen muss, wenn dies so vertraglich vereinbart ist. Immer dann aber, wenn keine «Beschäftigungsverpflichtung» besteht bzw. eine gewisse Flexibilität effektiv oder stillschweigend vereinbart ist, kann die Arbeitgeberin nicht in Arbeitgeberverzug nach Art. 324 OR kommen. Massgebend ist also die konkrete Vereinbarung, oder wie im Gastgewerbe Ziff. 1 von Art. 15 L-GAV. Aus diesem Artikel kann die Verpflichtung, Mitarbeitende in jeder Woche mindestens eine gewisse Anzahl zu beschäftigen, nicht herausgelesen werden. Zumindest im Gastgewerbe kommen Arbeitgebende nur in Verzug, wenn sie Mitarbeitende entgegen dem Plan im Minus arbeiten lassen, oder aber im Durschnitt die 42- bzw. 43.5 oder 45 Stunden-Woche unterschritten wird.
Überstunden werden nicht thematisiert
Weil die Zeichenzahl online beschränkt ist, Ärgerlich ist im Beitrag des SRF, dass wird die Thematik Überstunden im Zusammenhang mit Minusstunden gänzlich ausgeblendet wird. Niemand, der oder die nur halbwegs vom Fach ist, wird bestreiten, dass Minusstunden mit früheren Überstunden kompensiert werden können. Und genau das ist in der Praxis sehr häufig der Fall. Mitarbeitende lesen jetzt vielleicht den Beitrag von SRF und ziehen falsche Schlüsse. Im Ergebnis schlagen sich dann Vorgesetzte mit zu Unrecht unzufriedenen Mitarbeitenden herum. Wollen wir hoffen, dass dieser Blog diesen Vorgesetzten etwas hilft.